Führen wir noch mündig – oder nur noch prompt?
Wenn KI zum Gesprächspartner wird, steht mehr auf dem Spiel als Effizienz. Es geht um die Kontrolle über unsere Kommunikation.
„Könntest du das etwas klarer formulieren?“ frage ich. Die Antwort kommt prompt. „Klarheit ist mein zweiter Vorname.“ Es ist ein Chatbot, der mir gegenübersitzt. Also: gegenüberprozessiert. Und plötzlich wird aus einem Textvorschlag ein Gedankenraum. Einer, in dem sich etwas verschiebt:
Was, wenn KI nicht nur unsere Texte schreibt, sondern unsere Kommunikation formt?
Und was, wenn Kommunikation die Substanz ist, aus der Teams entstehen?

Der Code, der Teams macht
Niklas Luhmann hatte eine radikale Idee: Gesellschaft besteht nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikation. Nicht wir sind das System. Wir erzeugen es, indem wir kommunizieren.
Übersetzt: Jede Mail, jeder Slack-Ping, jedes Meeting-Wort erschafft die Realität Ihres Teams. Was keinen Anschluss findet, verschwindet. Was gehört wird, wird Wirklichkeit. Wer kommuniziert, gestaltet Wirklichkeit.
Und wer mitgestaltet wird, hat Macht. Auch wenn er kein Mensch ist.
KI als heimliches Teammitglied
KI-Systeme sind längst nicht mehr bloße Werkzeuge. Sie sind kulturelle Mitspieler. Sie antworten, sie prägen Tonalität, sie schlagen Narrative vor. Ihre Vorschläge basieren nicht auf Intuition, sondern auf Wahrscheinlichkeiten.
Was sie sagen, klingt anschlussfähig. Aber ist es auch aufschlussreich?
Wenn Ihre Führungskraft KI nutzt, um Mails zu formulieren, Konflikte zu moderieren oder Ziele zu klären, dann lässt sie ein System mitgestalten, das sie selbst verantwortet. Der kommunikative Code verändert sich. Und damit das Klima, das Vertrauen, der kulturelle Raum.
Die neue Verantwortung: Kommunikations-Architektur
Führung ist nicht länger nur eine Frage von Entscheidungen. Sie ist eine Frage der Codierung.
- Welche Themen werden verstärkt?
- Welche Tonalitäten normalisiert?
- Welche Kritik wird abgeschwächt?
Wer mit KI kommuniziert, entscheidet mit jeder Antwort, was im System resoniert. Das ist nicht banal. Das ist strukturbildend.
Mündigkeit in der Promptkultur
Immanuel Kant definierte Mündigkeit als den Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. In Zeiten generativer Systeme: Mündigkeit ist der Mut, die eigene Kommunikation zu beobachten.
Denn was ich einer KI sage, formt, was sie mir zurückgibt. Was ich davon übernehme, formt, wer ich werde. Es ist ein Kreislauf. Ein System, das anschlussfähig bleiben muss.
Systemfehler in Echtzeit
Ich arbeite als systemische Teamcoachin. Und ich sehe täglich: Teams werden nicht von KI überfordert. Sie werden von mangelnder Kommunikationskompetenz ihrer Führungskräfte abgehängt.
Während Teams lernen, präziser und anschlussfähiger miteinander zu kommunizieren, erlebe ich Führungskräfte, die ihre eigene Kommunikation outsourcen (manchmal auch an Freelancer). Das Ergebnis: keine Anschlussfähigkeit zwischen Führungsebene und Team.
Die KI antwortet perfekt formuliert. Das Team versteht trotzdem nicht, was gemeint ist. Weil der menschliche Kontext fehlt. Die geteilte Erfahrung. Der echte Bezug zur Situation.
Aber: Je mehr wir KI für Kommunikation nutzen, desto wichtiger wird es, die eigenen Kommunikationsmuster überhaupt zu durchschauen. Denn nur was ich bewusst wahrnehme, kann ich bewusst entscheiden.
Was Sie diese Woche tun können
1. Kommunikations-Debugging starten
- Beobachten Sie eine Woche lang: Welche Ihrer Nachrichten sind KI-unterstützt?
- Fragen Sie sich: Würde mein Team den Unterschied bemerken?
2. Den eigenen Kommunikations-Code verstehen
- Welche Themen verstärken Sie durch KI-Nutzung?
- Welche schwächen Sie ab?
- Was geht verloren, wenn Sie nicht selbst formulieren?
3. Bewusste Entscheidungen treffen
- KI für Struktur: ja
- KI für Ton und Beziehung: vorsichtig
- KI für kritische Gespräche: nein
Verantwortung übernehmen
Die Frage ist nicht, ob KI uns übernimmt. Die Frage ist, ob wir die Verantwortung übernehmen, die mit ihrer Nutzung einhergeht.
Wer führt, gestaltet Kommunikationssysteme. Wer KI in diese Systeme integriert, verändert sie fundamental. Das erfordert nicht weniger, sondern mehr Bewusstsein für die eigene kommunikative Wirkung.
Die gute Nachricht: Sie entscheiden immer noch, welchen Code Sie schreiben. Welche Realität Sie erschaffen. Und ob Ihre Teams Sie dabei verstehen.
Manchmal braucht es dabei jemanden, der von außen draufschaut und sagt: „Hier läuft gerade etwas schief.“ Jemanden, der die Kommunikationsmuster debuggt, die Sie selbst nicht mehr sehen. Falls Sie Lust auf systemisches Sparring haben – ich bin für Sie da.
Was denken Sie? Wo sehen Sie KI bereits als stillen Mitspieler in Ihrem Führungsalltag?
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Ines Schaffranek
Systemische Teamcoaching + Führungskräfteenwicklerin
Ines ist Sparringspartnerin für Führungskräfte, die in komplexen Systemen navigieren. Nach ihrem Kulturwissenschaftsstudium und Jahren der Beobachtung, wie Teams sich selbst sabotieren, hat sie ihre Mission gefunden: Zusammenarbeit so zu gestalten, dass Menschen aufblühen statt ausbrennen. Seit 2019 begleitet sie als systemischer Teamcoach (ORSC) Organisationen beim Debugging ihrer Führungskultur. Privat tauscht sie Systemtheorie gegen Schwerkraft – beim Rollerskating in Rampen, wo Fehler sofort spürbar werden.
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